Partner
Patrick Bittner in der Villa Rothschild
„Das ist verrückt, das passt wie ein Maßanzug“
Das passt wie angegossen. Nach 22 Jahren im Restaurant Français übernimmt Patrick Bittner ab Februar die kulinarische Leitung der Villa Rothschild. Im Interview erzählt der Sternekoch von seinem Werdegang, Perfektionismus und seinen Plänen für die Villa.
JOURNAL FRANKFURT: Herr Bittner, Sie waren von 2000 bis 2022 Küchenchef im Restaurant Français im Steigenberger Frankfurter Hof. Unter Ihrer Führung wurde die Küche seit 2009 konstant mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet. Nach der überraschenden Schließung vergangenen Juli ist es ruhig um Sie geworden. Wie haben Sie die Auszeit verbracht?
Patrick Bittner: Ich habe das nicht einfach so vom Tisch wischen können, zumal das nicht freiwillig war. Ich musste das sacken lassen und war für drei Monate in der Provence. Danach bin ich viel gereist, habe Freunde besucht in Tel Aviv, London, New York – hab Galerien angesehen, Museen besucht, mich mit Streetfood beschäftigt und viel Sport gemacht. Ich habe diverse Angebote bekommen, aus dem In- und Ausland, vom Luxusschiff bis zum Grand Hotel, aber ich musste mich erstmal sammeln. Überlegen, was will ich und was nicht. Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt, einen Falafel-Stand aufzumachen. Mich triggern mittlerweile andere Dinge als Gänsestopfleber und Kaviar, auch wenn das meine Wurzeln sind.
Diese liegen seit Ihrer Ausbildung im Burghotel Hardenberg Ende der 1980er Jahre ja in der französisch geprägten Hochküche. War für Sie klar, wo die Reise hinführen soll?
Anfangs nicht, aber im Burghotel hatte ich das Glück, dass mich damals Klaus Abraham mit dem Perfektionismus-Virus infiziert hat. Ein Beispiel: Er hatte zwei Schneidebretter. Die musste ich ihm jeden Tag genau gleich hinlegen. 15 cm mussten die auseinander liegen. Das hat er nachgemessen. Ich dachte anfangs, der hat ne Meise. Aber er hat mir klar gemacht: Hier fängt das an. Der Aufbau der Küche. Die Sauberkeit. Das gehört alles dazu.
„Da gibt es keine Kompromisse.“
Anschließend haben Sie fast ausschließlich in der Sternegastronomie gearbeitet. Welche Stationen haben Sie am meisten geprägt?
Jede einzelne Station war wichtig. Aber drei haben mich besonders geprägt. Erstens das Landhaus Scherrer** in Hamburg. Das war knallhart alte Schule. Da schickst du mittags 60, abends 100 Teller auf Zwei-Sterne-Niveau. Da gibt es keine Kompromisse. Da habe ich gelernt, zu liefern. Danach bin ich nach Düsseldorf ins Hummerstübchen** und habe noch mal richtig putzen gelernt. Deshalb bin ich heute so ein Putzfreak. Die Köche in meiner Brigade hassen mich dafür. Aber wie mein Chef damals sagte: Die Tastatur, die wir bespielen, muss immer sauber sein. Das i-Tüpfelchen war schließlich meine Zeit bei Dieter Müller***. Da ging es um Details, Saucen, verspieltes Teller-Ikebana auf Drei-Sterne-Niveau, mittags und abends. Das volle Programm. Wir waren damals 15 Leute in der Küche, und Dieter Müller hat diese Riesenbrigade ohne ein lautes Wort geführt, und dennoch standen alle stramm. Das ist eine Kunst. Das hat hoffentlich auch meinen eignen Führungsstil geprägt.
Was hat Sie in die Rhein-Main-Region gebracht?
Meine damalige Freundin hatte einen Job im Lindner Hotel in Höchst. Also habe ich mir auch etwas in der Region gesucht und mich sogar beim Frankfurter Hof beworben, als Souschef. Da wurde jedoch nichts draus. Ein Freund brachte mich dann auf die Idee, es bei Doris-Katharina Hessler in Maintal zu versuchen. Sie war seinerzeit die beste Köchin Deutschlands mit Sven Elverfeld als Souschef. Ich habe dann seinen Posten übernommen.
Lange sind Sie aber nicht in der Region geblieben?
Danach ging es für mich zu Dieter Müller. Ich wollte noch weiter zu Wohlfahrt, aber Müller meinte, nein, du machst jetzt etwas Eigenes. Ich ging dann nach Heidelberg zur Meisterschule und danach nach Frankfurt.
„Sie gab mir eine Chance und eine klare Ansage“
Wie kam es dazu? Zur Jahrtausendwende war Frankfurt ja kein kulinarischer Hotspot.
In der Tat. Ich habe nach der Meisterschule kurz im Hummerstübchen ausgeholfen. Die Schwester einer Kollegin arbeitete am Frankfurter Hof. Da kam eins zum anderen. Ich weiß noch, ich musste mich persönlich bei Frau Steigenberger vorstellen. Ich hatte lange Haare und kam rüber, als ob ich gerade aus Kalifornien mit dem Surfbrett angereist wäre. Aber sie gab mir eine Chance und die klare Ansage: Wenn Sie keinen Erfolg haben, sind Sie so schnell weg, wie Sie gekommen sind.
Kamen Sie in ein gemachtes Nest?
Im Gegenteil. Die Küche war mitten in der Hauptküche des Hotels. Zu Messezeiten waren da 40 Köche am Arbeiten. Auch in puncto Kulinarik gab es viel Luft nach oben. Ich habe die Küche umbauen und die Crew vorerst weiter kochen lassen, während ich selbst parallel produziert habe, und habe dann gesagt: Am Tag X machen wir den Kartenwechsel. Nach sechs Wochen war dann keiner der alten Mitarbeiter mehr da, dafür neue und wir konnten richtig loslegen. Der Punkt ist, ich muss als Küchenchef zufrieden sein, mit der Küche, dem Personal, mit allem. Alles muss ineinandergreifen und die Chemie stimmen, damit das funktioniert.
„Die Basis ist für mich immer französisch.“
Wie würden Sie selbst Ihren Küchenstil beschreiben?
Die Küchen, in denen ich gelernt und gearbeitet habe, waren alle frankophil. Anfang der 1990er-Jahre waren Fusion und asiatische Küchen ja noch kein Thema. Somit war die Basis für mich immer französisch, bis heute. Ich liebe diese Küche, aber natürlich nehme ich Einflüsse aus anderen Küchen auf. Außerdem bin ich heute in der Lage, all das wesentlich moderner und leichter zu interpretieren. Statt schwerer Saucen gehe ich mehr über Fonds, über Umami-Bomben, Kräuteröle und mehr. Auch die Optik ist verspielter.
Könnte man die Situation vergangenen Sommer auch als die Möglichkeit sehen, radikalere Veränderungen zu vollziehen, als sie im Français möglich gewesen wären?
Absolut. Ich würde wahrscheinlich immer noch da rumkochen. Ich war zwar nicht wirklich betriebsblind, aber hatte gewisse Wohlfühlzonen. Alles eingespielt. Du hättest mir ein Auge zukleben und eine Hand auf den Rücken binden können und ich hätte das runtergekocht. Das will ich nicht mehr. Aber was dann? Ich bin 52, da muss ich mich fragen, was nun? Selbstständigkeit? Das ist fast unmöglich. Also habe ich mich gefragt, in welche Systeme passe ich rein? Und da kommt die Villa Rothschild ins Spiel. Das ist verrückt, das passt wie ein Maßanzug.
Inwiefern?
Die Villa ist ein klassisches Haus, wie der Frankfurter Hof, nur kleiner. Das ist genau das, was ich liebe. Ich habe jetzt die Chance, dem Ganzen etwas Modernes einzuhauchen, obwohl ich die Linie nicht verlasse. Ich bleibe frankophil, aber mit ganz klaren Akzenten. Konkret heißt das, dass ich fast keine Kohlenhydrate und keinen Zucker verwenden werde. Das sind zwei zentrale Bausteine des Gesamtkonzepts. Das geht vom Frühstücksei bis zur Gute-Nacht-Praline. Das ist alles Patrick Bittner. Wenn die Leute dann sagen: Wie, ohne Zucker? Ohne Kohlenhydrate? Dann kann ich sagen, das habt ihr bei mir jahrelang gegessen. Der einzige Unterschied ist, dass das in der Villa noch konsequenter sein wird. Das ist das spannende, diese Komfortzone zu verlassen und mich so einrichten zu können, das alles passt. Eben wie ein Maßanzug.
Patrick Bittner: Ich habe das nicht einfach so vom Tisch wischen können, zumal das nicht freiwillig war. Ich musste das sacken lassen und war für drei Monate in der Provence. Danach bin ich viel gereist, habe Freunde besucht in Tel Aviv, London, New York – hab Galerien angesehen, Museen besucht, mich mit Streetfood beschäftigt und viel Sport gemacht. Ich habe diverse Angebote bekommen, aus dem In- und Ausland, vom Luxusschiff bis zum Grand Hotel, aber ich musste mich erstmal sammeln. Überlegen, was will ich und was nicht. Ich habe sogar mit dem Gedanken gespielt, einen Falafel-Stand aufzumachen. Mich triggern mittlerweile andere Dinge als Gänsestopfleber und Kaviar, auch wenn das meine Wurzeln sind.
Diese liegen seit Ihrer Ausbildung im Burghotel Hardenberg Ende der 1980er Jahre ja in der französisch geprägten Hochküche. War für Sie klar, wo die Reise hinführen soll?
Anfangs nicht, aber im Burghotel hatte ich das Glück, dass mich damals Klaus Abraham mit dem Perfektionismus-Virus infiziert hat. Ein Beispiel: Er hatte zwei Schneidebretter. Die musste ich ihm jeden Tag genau gleich hinlegen. 15 cm mussten die auseinander liegen. Das hat er nachgemessen. Ich dachte anfangs, der hat ne Meise. Aber er hat mir klar gemacht: Hier fängt das an. Der Aufbau der Küche. Die Sauberkeit. Das gehört alles dazu.
Anschließend haben Sie fast ausschließlich in der Sternegastronomie gearbeitet. Welche Stationen haben Sie am meisten geprägt?
Jede einzelne Station war wichtig. Aber drei haben mich besonders geprägt. Erstens das Landhaus Scherrer** in Hamburg. Das war knallhart alte Schule. Da schickst du mittags 60, abends 100 Teller auf Zwei-Sterne-Niveau. Da gibt es keine Kompromisse. Da habe ich gelernt, zu liefern. Danach bin ich nach Düsseldorf ins Hummerstübchen** und habe noch mal richtig putzen gelernt. Deshalb bin ich heute so ein Putzfreak. Die Köche in meiner Brigade hassen mich dafür. Aber wie mein Chef damals sagte: Die Tastatur, die wir bespielen, muss immer sauber sein. Das i-Tüpfelchen war schließlich meine Zeit bei Dieter Müller***. Da ging es um Details, Saucen, verspieltes Teller-Ikebana auf Drei-Sterne-Niveau, mittags und abends. Das volle Programm. Wir waren damals 15 Leute in der Küche, und Dieter Müller hat diese Riesenbrigade ohne ein lautes Wort geführt, und dennoch standen alle stramm. Das ist eine Kunst. Das hat hoffentlich auch meinen eignen Führungsstil geprägt.
Was hat Sie in die Rhein-Main-Region gebracht?
Meine damalige Freundin hatte einen Job im Lindner Hotel in Höchst. Also habe ich mir auch etwas in der Region gesucht und mich sogar beim Frankfurter Hof beworben, als Souschef. Da wurde jedoch nichts draus. Ein Freund brachte mich dann auf die Idee, es bei Doris-Katharina Hessler in Maintal zu versuchen. Sie war seinerzeit die beste Köchin Deutschlands mit Sven Elverfeld als Souschef. Ich habe dann seinen Posten übernommen.
Lange sind Sie aber nicht in der Region geblieben?
Danach ging es für mich zu Dieter Müller. Ich wollte noch weiter zu Wohlfahrt, aber Müller meinte, nein, du machst jetzt etwas Eigenes. Ich ging dann nach Heidelberg zur Meisterschule und danach nach Frankfurt.
Wie kam es dazu? Zur Jahrtausendwende war Frankfurt ja kein kulinarischer Hotspot.
In der Tat. Ich habe nach der Meisterschule kurz im Hummerstübchen ausgeholfen. Die Schwester einer Kollegin arbeitete am Frankfurter Hof. Da kam eins zum anderen. Ich weiß noch, ich musste mich persönlich bei Frau Steigenberger vorstellen. Ich hatte lange Haare und kam rüber, als ob ich gerade aus Kalifornien mit dem Surfbrett angereist wäre. Aber sie gab mir eine Chance und die klare Ansage: Wenn Sie keinen Erfolg haben, sind Sie so schnell weg, wie Sie gekommen sind.
Kamen Sie in ein gemachtes Nest?
Im Gegenteil. Die Küche war mitten in der Hauptküche des Hotels. Zu Messezeiten waren da 40 Köche am Arbeiten. Auch in puncto Kulinarik gab es viel Luft nach oben. Ich habe die Küche umbauen und die Crew vorerst weiter kochen lassen, während ich selbst parallel produziert habe, und habe dann gesagt: Am Tag X machen wir den Kartenwechsel. Nach sechs Wochen war dann keiner der alten Mitarbeiter mehr da, dafür neue und wir konnten richtig loslegen. Der Punkt ist, ich muss als Küchenchef zufrieden sein, mit der Küche, dem Personal, mit allem. Alles muss ineinandergreifen und die Chemie stimmen, damit das funktioniert.
Wie würden Sie selbst Ihren Küchenstil beschreiben?
Die Küchen, in denen ich gelernt und gearbeitet habe, waren alle frankophil. Anfang der 1990er-Jahre waren Fusion und asiatische Küchen ja noch kein Thema. Somit war die Basis für mich immer französisch, bis heute. Ich liebe diese Küche, aber natürlich nehme ich Einflüsse aus anderen Küchen auf. Außerdem bin ich heute in der Lage, all das wesentlich moderner und leichter zu interpretieren. Statt schwerer Saucen gehe ich mehr über Fonds, über Umami-Bomben, Kräuteröle und mehr. Auch die Optik ist verspielter.
Könnte man die Situation vergangenen Sommer auch als die Möglichkeit sehen, radikalere Veränderungen zu vollziehen, als sie im Français möglich gewesen wären?
Absolut. Ich würde wahrscheinlich immer noch da rumkochen. Ich war zwar nicht wirklich betriebsblind, aber hatte gewisse Wohlfühlzonen. Alles eingespielt. Du hättest mir ein Auge zukleben und eine Hand auf den Rücken binden können und ich hätte das runtergekocht. Das will ich nicht mehr. Aber was dann? Ich bin 52, da muss ich mich fragen, was nun? Selbstständigkeit? Das ist fast unmöglich. Also habe ich mich gefragt, in welche Systeme passe ich rein? Und da kommt die Villa Rothschild ins Spiel. Das ist verrückt, das passt wie ein Maßanzug.
Inwiefern?
Die Villa ist ein klassisches Haus, wie der Frankfurter Hof, nur kleiner. Das ist genau das, was ich liebe. Ich habe jetzt die Chance, dem Ganzen etwas Modernes einzuhauchen, obwohl ich die Linie nicht verlasse. Ich bleibe frankophil, aber mit ganz klaren Akzenten. Konkret heißt das, dass ich fast keine Kohlenhydrate und keinen Zucker verwenden werde. Das sind zwei zentrale Bausteine des Gesamtkonzepts. Das geht vom Frühstücksei bis zur Gute-Nacht-Praline. Das ist alles Patrick Bittner. Wenn die Leute dann sagen: Wie, ohne Zucker? Ohne Kohlenhydrate? Dann kann ich sagen, das habt ihr bei mir jahrelang gegessen. Der einzige Unterschied ist, dass das in der Villa noch konsequenter sein wird. Das ist das spannende, diese Komfortzone zu verlassen und mich so einrichten zu können, das alles passt. Eben wie ein Maßanzug.
3. Januar 2024, 10.17 Uhr
Sebastian Schellhaasian
Sebastian Ruben Schellhaas
Jahrgang 1984, studierte Philosophie und Ethnologie an der Goethe Universität Frankfurt, seit 2020 beim JOURNAL FRANKFURT Mehr von Sebastian Ruben
Schellhaas >>
Meistgelesen
Top-News per Mail