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Weinsinn und Gustav schließen

Die einzige Konstante ist Veränderung

Frankfurt verliert drei Sterne. Im Interview mit JOURNAL FRANKFURT sprechen Milica Trajkovska Scheiber und Mathias Scheiber über die Schließungen ihrer Restaurants Weinsinn und Gustav.
JOURNAL FRANKFURT: Als gastronomieaffiner Mensch verbindet man in Frankfurt mit Ihrem Namen zwei der besten Restaurants der Region: das Weinsinn mit einem und das Gustav mit zwei Michelin-Sternen. Nach der Schließung des Weinsinn zum 1. Juli 2024 ist Ende Juli nun auch im Gustav Schluss. Wie kam es zu der Entscheidung, beide Betriebe zu schließen?
MATTHIAS SCHEIBER (MS): Natürlich fragen alle, warum macht ihr das? Das hat verschiedene Gründe und ist keine kurzfristige Entscheidung, vor allem keine betriebswirtschaftliche. Zum einen ist der Pachtvertrag im Gustav ausgelaufen, zum anderen ist es eine Frage der persönlichen Entwicklung.
MILICA TRAJKOVSKA SCHEIBER (MTS): Gerade der letzte Punkt hat sich durch unsere gesamte berufliche Selbstständigkeit gezogen. Wir sind selten stehen geblieben, und wenn wir stehen geblieben sind, dann haben wir das irgendwann gemerkt und gesagt, wir müssen etwas anders machen. Für uns muss es immer weitergehen. Wir brauchen diese Veränderung. Die Vergangenheit ist die Vergangenheit, und wenn ich mich zu sehr mit der Vergangenheit in meinen Betrieb beschäftige, dann verbaut es mir den Blick, um weiterzumachen. Das ist auch persönlich so. Ich kann nicht nur Sterne essen gehen, ich muss reisen, ich brauche Kunst und Kultur, um im Hier und Jetzt zu bleiben.

Ihre Selbstständigkeit als Gastronomen in Frankfurt haben Sie 2006 mit der Übernahme der damaligen Cafés im Film- und Architekturmuseum begonnen. 2009 folgte dann der Wechsel ins Westend, wo Sie das Weinsinn eröffneten, das 2013 mit André Rickert als Küchenchef mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet wurde. Wie kommt der Sprung vom Cafébetrieb zu einem Gourmet-Restaurant zustande? War ein Stern von vornherein das Ziel?
MS: Das Weinsinn war als Weinbar mit Restaurant konzipiert. Neben dem Thekenbetrieb und einem Bistrobereich gab es auch einen Restaurantbereich, in dem wir damals schon ein Menü angeboten haben. Das hat aber fast nie jemand bestellt. Das war vor 15 Jahren. Damals war der Menü-Gedanke, wie er heute fast üblich ist, kaum verbreitet. Doch durch gute Küche und Köche wurden wir immer mehr zum Restaurant.
MTS: Den Unterschied macht am Ende die Handschrift eines Küchenchefs aus. Ob die dann einen Stern wert ist oder sogar mehr, das entscheidet der Guide, nicht wir. Aber ich sage stets, ich versuche immer, Drei- Sterne-Service abzuliefern – ob im Café, beim Catering oder im Restaurant, das ist mein eigener Anspruch. Die Leidenschaft, die Liebe für Qualität und Details, die war immer da.

Den Stern konnte Rickert halten, und dennoch haben Sie 2016 die Zelte im Westend abgebrochen und haben 2017 in der Weserstraße im Frankfurter Bahnhofsviertel neu eröffnet. Warum setzt man sich dem aus? Sie saßen doch im gut gemachten Nest im Westend.
MTS: Wie heute im Gustav ist damals der Pachtvertrag ausgelaufen. Zudem gaben die Räumlichkeiten nicht die Möglichkeiten her, weiterzukommen.
MS: Für uns war schon früher klar, wir wollen einen nächsten Schritt machen. Deshalb haben wir seit 2014 nach etwas Größerem gesucht. Über die Wirtschaftsförderung der Stadt Frankfurt wurde uns damals bereits das heutige Gustav vorgeschlagen. Das kam für uns zunächst nicht in Frage. Das Haus war in einem erbärmlichen Zustand. Als später klar wurde, dass ein neuer Hausbesitzer investieren wollte, fiel die Entscheidung zum zweiten Restaurant. Das war 2014. Eröffnet haben wir das Gustav dann im März 2015.

Wie sucht man einen passenden Küchenchef für solch ein Projekt?
MS: Damals noch ganz klassisch über eine Anzeige, und auf die hat sich Jochim (Josch) Busch beworben. Seine erste Frage war dann: Es geht nicht ums Weinsinn, sondern um die Neueröffnung, oder? Er war nur an einer Neueröffnung interessiert.

Was hat Sie überzeugt, ihn einzustellen?
MTS: Wir hatten noch nicht mal die Küche eingebaut. Da brauchte es Vorstellungskraft, und ohne Fantasie ist man in der Küche aufgeschmissen. Josch hatte Fantasie und Ideen, er hatte eine Vorstellung von Produktqualität, von Potenzialen, davon, wie man Dinge anders machen kann. Das hat auch zu unseren Vorstellungen gepasst. Natürlich hat man als Küchenchef freie Hand, aber es muss eben passen. Die Arbeit, die Mühe, die Liebe, die man in seine Arbeit bringt. Das ist viel. Die Frage ist, ist man bereit dafür, und Josch war bereit dafür, zehn Jahre lang, jeden Tag.

Es hat dann auch nicht lange gedauert bis zum ersten Stern 2015. Der zweite folgte 2020. Wie ging es im Weinsinn weiter?
MS: Der Pachtvertrag wurde zunächst automatisch verlängert und lief dann drei Jahre später aus. Über einen Nachbarn des alten Weinsinn sind wir dann an die neuen Räumlichkeiten in der Weserstraße gekommen. Dieser Nachbar war der Rechtsanwalt von Claus Wisser (†4. Oktober 2023), Gründer der WISAG, dem die Immobilie gehörte. Ohne die Unterstützung von Herrn Wisser wäre das Weinsinn so nicht zustande gekommen.

Das Weinsinn hatte zu dieser Zeit immer noch einen Stern mit Rickert als Küchenchef. Der wollte aber nicht mitkommen. Kann man überhaupt mit einem Restaurant einfach so umziehen und dabei auch noch „einen Schritt weitergehen“, wie Sie sagen?
MS: Wir haben wie gesagt immer versucht, nicht stehen zu bleiben. Diese Entwicklung muss man aber gemeinsam machen. Dabei ist es nicht immer leicht, den Mitarbeitern begreiflich zu machen: Auch wenn das alles sehr erfolgreich ist, machen wir jetzt alles anders, damit wir auf der Höhe der Zeit bleiben. Wenn das nicht für alles passt, dann war das eine schöne Zeit, nach der es für jeden auf seine Art weitergeht. Das ist auch legitim. Für Rickert ging es eben an anderer Stelle weiter.

Eröffnet haben Sie das Weinsinn dann mit Alexandre Sadowczyk (heute L’Ecume), der bereits nach wenigen Monaten von Julian Stowasser abgelöst wurde, der heute im Hamburger The Fontenay zwei Sterne erkocht. Seit 2020 zeichnete dann Jochim Busch für beide Küchen im Weinsinn und im Gustav verantwortlich. Wie kam es dazu?
MTS: Wir haben im März 2017 eröffnet, und im Juni kam schon Stowasser. Der hatte eine Energie, das war unglaublich. Aber das war am Ende nicht unsere Küche. Ganz anders als Joschs Küche war Stowassers Handschrift eher laut. Wir waren nie laut, sondern immer lieber etwas ruhiger, feiner und pointierter. Wir hatten Josch schon nach Sadowczyk gefragt, ob er sich vorstellen könnte, auch das Weinsinn mitzuführen. Aber er hatte seine Philosophie, und dann in einem anderen Restaurant anders zu kochen, das ging nicht auf für ihn – oder noch nicht. Doch als Stowasser dann 2020 nach Hamburg ging, war er bereit. Ab diesem Zeitpunkt waren wir im Weinsinn so gut wie noch nie zuvor.

Aber Busch hat weiter im Gustav gekocht?
MS: Ja, aber während Busch die Karte geschrieben und das Küchenkonzept entwickelt hat, hat sein ehemaliger Souschef aus dem Gustav, Daniel Pletsch, die operative Küchenleitung im Weinsinn übernommen. Deswegen standen in den meisten Restaurantführern immer zwei Küchenchefs.

Die gute Nachricht ist, dass Sie das Weinsinn im Herbst wiedereröffnen werden, allerdings mit neuem Namen, und mal wieder alles etwas anders. Was steckt dahinter?
MS: Natürlich sind wir irgendwo Weinsinn und Gustav, und werden das auch immer bleiben, aber ohne Josch und ohne das Gustav ist auch das Weinsinn nicht mehr das alte – und das ist auch gut so. Auch wenn es das Weinsinn jetzt 15 Jahre und das Gustav zehn Jahre gab, wollen wir ja kein Frankfurter Traditionsbetrieb sein. Zudem hat der neue Name Sommerfeld für uns etwas sehr Positives.

Wie würden Sie den anvisierten Küchenstil im Sommerfeld beschreiben?
MTS: Ein Miteinander aus beidem, Gustav und Weinsinn. Das, was wir selbst gut finden. Und das war für uns nie nur die Küche, sondern immer alles zusammen. Die Räumlichkeiten, die Mitarbeiter, die Küche, das Ambiente, die Kunst. Das gehört alles zusammen. Das ist Atmosphäre, und die kann nicht eingekauft werden. Die kann ich nur leben und fühlen.
MS: Wir wollen auch nicht immer sagen, im Weinsinn war das aber so. Wir sind so viel freier. Auch wenn sich nicht alles ändern wird. Wir werden etwas umbauen, und auch in der Küchenmannschaft wird sich ein bisschen was verändern. Aber wir werden nicht abweichen von unserem Fokus auf Regionalität und gutes Handwerk.

Fällt Ihnen der Abschied schwer?
MS: Wir hatten im Gustav einen Pachtvertrag für zehn Jahre. Und wenn Sie mit 40 Jahren sowas anfangen, haben sie viel mehr Power als zehn Jahre später. Es gab jetzt für uns keinen Grund, weiterhin zwei Restaurants zu betreiben, zumal auch Josch andere Pläne hat. Es gibt ja noch andere Dinge im Leben, und mit zwei Restaurants ist man wirklich getaktet, man ist fast ein bisschen gefangen.

Das heißt, Ihr Blick ist weiter nach vorne gerichtet, ganz ohne weinendes Auge?
MTS: Ein bisschen Reflexion ist immer wichtig. Aber wir wollen weitergehen und uns zugleich mehr fokussieren, auch auf uns. Wir wollen die Zeit nutzen, die wir haben. Ich habe nur das eine Leben. Und bei alledem ist die einzige Konstante Veränderung.
 
30. Juli 2024, 11.50 Uhr
Sebastian Schellhaas
 
Sebastian Ruben Schellhaas
Jahrgang 1984, studierte Philosophie und Ethnologie an der Goethe Universität Frankfurt, seit 2020 beim JOURNAL FRANKFURT – Mehr von Sebastian Ruben Schellhaas >>
 
 
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