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Foto: © Dirk Ostermeier
Foto: © Dirk Ostermeier

Frankfurter Buchmesse 2022

Der Kochbuchmacher

Ob als Last-Minute-Geschenk, Manual oder Lifestyle-Objekt, Kochbücher sind ein Dauerbrenner. Doch wie entsteht und was macht ein gutes Kochbuch aus? Ein Gespräch mit dem Kochbuchmacher Oliver Hick-Schulz.
Kochbücher und Frankfurt, das ist eine lange Geschichte. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in Frankfurt sogar ein Kochkunstmuseum, das sich mit einer einzigartigen Kochbuchsammlung schmücken konnte. Selbst die erste deutsche Übersetzung von Auguste Escoffiers legendärem Le Guide Culinaire hat ihre Wurzeln am Main. Über einhundert Jahre später gibt es in Frankfurt und der Region nicht nur noch immer Verlage, die wie Kornmayer ausschließlich oder wie der Westend Verlag gelegentlich Kochbücher herausgeben, sondern auch noch passionierte Kochbuchmacherinnen und -macher. Einer von ihnen ist Oliver Hick-Schulz. Zusammen mit einem festen Team hat Hick-Schulz sich auf kulinarische Porträts bestimmter Länder und Regionen, sogenannte Reisekochbücher, spezialisiert und in den vergangenen Jahren mehrere preisgekrönte Projekte verwirklicht. Dazu gehören „Verführerisches Zypern. Eine kulinarische Reise“ (2014) und „Algarve. Eine kulinarische Reise“ (2021), die beide unter anderem mit einem Gourmand World Cookbook Award prämiert wurden. Pünktlich zur Frankfurter Buchmesse erscheint nun das neuste Projekt, das Hick-Schulz und sein Team zusammen mit dem Berliner Kriminalautor Alexander Oetker verwirklicht haben. Ein Reisekochbuch über die Küche Aquitaniens. Im Interview erklärt Hick-Schulz, wie ein Kochbuch eigentlich entsteht, was ein gutes Kochbuch ausmacht und was Kochbücher auf gar keinen Fall tun sollten

JOURNAL FRANKFURT: Herr Hick-Schulz, Sie haben viele Jahre als Editorial Designer gearbeitet und Magazine gestaltet. Wie wird man zum Kochbuchmacher?
OLIVER HICK-SCHULZ: Meinen Aha-Moment hatte ich 2005 mit „Kein Kochbuch für Anfänger“ von Franz Keller. Da beschreibt Keller seine gesamte Küchenphilosophie. Vieles davon war mir vollkommen neu und hat meinen Blick auf das Kochen, mein Verständnis für Kulinarik und Ernährung grundlegend verändert. Ich habe davor zwar schon das ein oder andere Kochbuch zum Kochen gekauft, aber ab dem Punkt habe ich angefangen, mich ernsthaft für Bücher zu interessieren, die mehr als nur Rezeptsammlungen sind, die Geschichten erzählen. In denen es um Regionalität geht, um Nachhaltigkeit, um Produkte und die Menschen dahinter. Seitdem kaufe und lese ich alles, was mir in die Hände kommt. In den letzten 20 Jahren habe ich so gut 400 Kochbücher zusammengetragen. Nicht des Sammelns wegen. Ich lese die tatsächlich – auch abends im Bett oder in der Badewanne.

Wie muss man sich die Arbeit als Kochbuchmacher vorstellen?
Zunächst einmal kann man Kochbücher wie unsere nicht allein machen. Am Ende sind 15 bis 20 Personen aktiv am Prozess beteiligt – dazu gehören Autorinnen und Lektoren, ein Rezeptlektorat, Postproduktion, die Menschen in der Druckerei und so weiter. Wobei hier alle die Menschen ausgeklammert sind, die in den Büchern vorkommen, die uns ihre Rezepte anvertrauen, uns in ihre Töpfe gucken lassen und uns ihre Geschichten erzählen. Für die eigentliche Produktion besteht das Kernteam aber aus der Porträtfotografin Anja Jahn, dem Foodfotografen Markus Bassler, der Herausgeberin Marianne Salentin-Träger und mir als Art Director. Das Schema ist dann immer ähnlich: Ab dem Moment, in dem das Thema feststeht, beginnt für uns die Recherche. Unsere Aufgabe besteht dann erstmal darin, mittels Moodboards eine Gesamtvision des späteren Buches zu entwickeln, inhaltlich wie auch visuell. Mit der Konzeption folgt dann der erste Schritt der Visualisierung. Wir bauen Musterkapitel auf und fangen an, die Formsprache des Buchs zu konzipieren. Und dann, wenn wir an dem Punkt sind, das alles passt, dann schwärmen wir aus, oder besser gehen auf Reisen, um Fotos zu machen, Rezepte zu sammeln, Menschen zu treffen, Küchen zu besuchen. Irgendwann läuft das ganze Material dann bei mir zusammen und unsere Idee bekommt Leben eingehaucht. Dann sehen wir auch, wie gut wir tatsächlich vorgearbeitet haben. Ob das Konzept aufgeht. Ein Buch zu machen, ist ein permanenter Prozess vom ersten bis zum letzten Tag. Das bedeute auch, sich immer wieder zu fragen: Sind wir auf dem richtigen Weg? Ist das rund? Oder fehlt etwas? Wir müssen alles im Blick behalten, kritisch evaluieren und am Ende schauen, ob es das Buch geworden ist, das wir machen wollten. Das ist Teil des Prozesses, nie aus Bequemlichkeit zu sagen, das ist jetzt irgendwie ok so. Hauptsache fertig, gibt es nicht.

Klingt nach viel Arbeit und hohen Kosten. Lohnt sich das denn?
Es ist irrsinnig schwierig geworden, solche Bücher zu machen und damit auch noch Geld zu verdienen. Das ist leider so. Wir wollen, dass alle fair bezahlt werden, wir müssen viel reisen und wollen, wann immer möglich in Deutschland produzieren lassen. Da kann die Herstellung einen sechsstelligen Betrag schlucken. Für die meisten Verlage ist das uninteressant. Bücher wie wir sie machen, sind eigentlich nur mit externen Geldgebern möglich. Beispielsweise unser Algarve-Buch konnte in der Form nur mittels der Finanzierung eines privaten Geldgebers realisiert werden. Auf diese Weise können wir zwar nur sehr wenige, dafür aber sehr hochwertige und am Ende auch sehr erfolgreiche Buchprojekte umsetzen. Quantität ist nun mal kein Qualitätsmerkmal beim Büchermachen.

Die digitale Welt ist auf dem Vormarsch. Trotz kostenfreien Koch-Blogs und Online- Rezeptdatenbanken erfreuen sich Kochbücher weiterhin großer Beliebtheit. Was macht das Kochbuch zum Dauerbrenner?
Die Vielseitigkeit. Einen Roman kann ich im Sessel oder auf dem Klo lesen, aber mehr kann ich damit nicht machen. Ein Kochbuch ist auch ein Stück Literatur, mit dem du dich hinsetzen kannst. Du kannst aber auch daraus kochen und etwas lernen. Du kannst darin stöbern, dich inspirieren lassen oder dir schöne Fotos ansehen, die Lust machen und dazu einladen, selbst zu kochen. Im Idealfall wird das alles von der Befriedigung gekrönt, die draus entstehen kann, etwas Tolles gekocht zu haben. Nicht zuletzt sind viele neuere Kochbücher ästhetisch einfach wahnsinnig ansprechend, innen wie außen, wodurch die Bücher von Köchen wie Yotam Ottolenghi zu beliebten Lifestyle-Objekten avanciert sind.

Was macht ein gutes Kochbuch aus?
Das ist natürlich Geschmackssache. Und es gibt ja sehr viele Arten von Kochbüchern. Klassiker wie Auguste Escoffiers legendärer Le Guide Culinaire oder auch Marcella Hazans The Classic Italian Cook Book grenzen an reine, enzyklopädische Wissensvermittlung. Da musst du dich schon auf einem gewissen Level bewegen und ein gewisses handwerkliches Niveau und Produktkenntnisse mitbringen, sonst wirst du damit keinen Spaß haben. Aber diese Bücher spielen als Grundlagenwerke außer Konkurrenz. Für mich persönlich sind drei Aspekte für ein gutes Kochbuch entscheidend: Erstens sind das die Rezepte, die müssen funktionieren. Es gibt zu viele Kochbücher mit schlampigem Rezeptlektorat. Punkt zwei: Ästhetik. Ein sehr gut fotografiertes Food-Bild wird mehr Leute ins Buch ziehen als eine reine Bleiwüste. Und drittens, für mich persönlich ganz wichtig sind Geschichten, die mit einer Regionalküche oder bestimmten Gerichten und Produkten verknüpft sind. Es gibt noch einen vierten, sehr wichtigen Punkt: Ein Kochbuch darf nichts Furchteinlösendes haben, sondern muss inspirierend und einladend sein. Das schaffen bekannte Kochbuchautoren wie Ottolenghi, Jamie Oliver oder auch Tim Mälzer mit ihren Büchern. Das Einfache und Unkomplizierte in ihren Büchern und Rezepten nimmt den Leuten die Angst vorm Kochen.

Sie haben sich als Team auf kulinarische Porträts bestimmter Länder und Regionen, sogenannte Reisekochbücher, spezialisiert. Was ist der besondere Reiz an diesem Genre?
Uns interessiert ein ganzheitlicher Ansatz beim Kochbücher machen. Storytelling spielt dabei eine zentrale Rolle. Schließlich hat jede Region, jedes Produkt und Rezept eine eigene Historie. Dazu gehören Menschen mit ganz persönlichen Geschichten, die hinter alledem stehen. Es sind diese Geschichten und die Menschen, die Produzentinnen und Produzenten, Köchinnen und Köche, ihre Heimat, ihre Traditionen und ihr Alltag, die uns interessieren. Ohne die Leute, die wir auf unseren Reisen vor Ort besuchen, würden die Bücher nicht zu dem, was sie sind. Der Punkt ist, am Ende dreht sich beim Kochen und Essen vieles um Emotionen und darum geht es in unseren Büchern. Das ist die Kraft, die dem Ganzen innewohnt.

Dieses Interview ist zuerst in der Oktober-Ausgabe (10/22) des JOURNAL FRANKFURT erschienen.
 
19. Oktober 2022, 10.33 Uhr
Sebastian Schellhaas
 
 
Fotogalerie:
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